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Artikel vom 30. März 2007

Rösti, Kunst und Entwicklungshilfe
Seit neun Jahren treffen sich auf der Etaneno-Farm Künstler aus Deutschland - ihre Werke bleiben in Namibia

von Christoph Stockburger

Auf den ersten Blick ist Etaneno eine gewöhnliche Farm. Ein holpriger Pfad biegt vom Highway zwischen Otjiwarongo und Kalkfeld ab und führt zu dem leuchtend hellen Anwesen im Busch. Nach wenigen Kilometern sind schon von weitem das Wirtschaftsgebäude, Weidezäune und ein Wasserturm zu erkennen. Nichts deutet darauf hin, dass sich hier eine Künstlerinsel befindet. Dann ist das Eingangstor fast erreicht, und plötzlich entpuppt sich ein mächtiger Termitenhügel als grimmiges Riesengesicht. Die originelle Maskerade bleibt nicht die einzige Überraschung, die Etaneno zu bieten hat.

Alfonso Hüppi steht in der offenen Küche im Innenhof des Wohngebäudes, an das eine großflächige Weide angrenzt. Durch die Zaunmaschen hindurch krault der 72-jährige ehemalige Kunstprofessor einen Kudubullen. ,,Darf ich vorstellen: Das Begrüßungskomitee". Seit vielen Jahren ist der Herr mit der runden Brille r egelmäßig Gast auf der Farm von seinem Freund Erwin Gebert, der sich nach seinem Berufsleben als Architekt aus Freiburg im Breisgau nach Namibia verabschiedet hat. 1998 hatten die beiden die Idee, auf Etaneno eine Kunstwerkstatt mitten in der Einöde zu gründen. Ein Jahr später stand eine große Atelierhalle neben den Ziegenhütten, und seitdem reisen jährlich zwei Künstlergruppen an, um für vier Wochen auf der Farm zu leben und zu arbeiten.

Hüppis neuestes Kunstwerk ist rund, goldgelb und innerhalb weniger Minuten verschlungen. Der Schweizer hat für eine sechsköpfige Tischgesellschaft Rösti gebraten und erntet dafür ausgezeichnete Kritiken. An der Tafel haben Gebert und seine Frau Angela Platz genommen, außerdem legen die Künstler Holger Bulk, Mayumi Okabayashi und Michaela Wirsing eine Pause zwischen ihrer Arbeit ein. Jörg Eberhardt und Thomas Stricker, die die aktuelle Besuchergruppe komplettieren, befinden sich an diesem Sonntag auf einem Tagesausflug.

Hüppi und Gebert feixen über den Tisch hinweg über die Zukunft von Etaneno. ,,Wenn Erwin mal nicht mehr lebt, gehen alle Kunstwerke hier an das Museum für Neue Kunst in Freiburg", erzählt Hüppi. Nun sitzt der Farmbesitzer aber noch quicklebendig in seinem Stuhl, lässt sich die Rösti schmecken und schimpft über das Desinteresse, das das Museum in seiner Heimatstadt derzeit an der Sammlung von Etaneno an den Tag lege.

Dabei häuft sich ein Schatz von aufregenden Kunstwerken auf der Farm. Dazu zählen freilich viele Produktionen, die sich nicht verpacken und abtransportieren lassen - nicht nur die getarnte Monstervisage vor dem Tor ist für immer auf der Farm verwurzelt, auch der feuerspeiende Benzinkanister in der Einfahrt, der bemalte Steinhaufen auf der Weide und die unzähligen Verzierungen rund um das Haus werden Zeugnisse des fantastischen Kunstprojekts bleiben.

Der Flug nach Namibia und die Unterkunft auf der Farm werden bezahlt, die in dieser Zeit produzierten Kunstw erke bleiben dafür auf Etaneno - so lautete die Abmachung zwischen den Künstlern und dem Duo Hüppi/Gebert, das Etaneno auch als ,,Forum für Neue Kunst Namibia" betitelt.

Im Atelier stehen deshalb nicht nur die aktuellen Werke, sondern auch Bilder, Collagen, Skulpturen und Installationen von den früheren Gästen. Am auffälligsten ist der aufgeknüpfte Traktor, der in seine Einzelteile zerlegt von der Decke baumelt. Schwerfällig und gleichzeitig freischwebend lädt er ein zu einer Fahrt auf ein Luftschloss. An den Wänden vor und hinter dem Treckerskelett prangen zwei großflächige Gemälde. Per Knopfdruck saust ein merkwürdiges Flugobjekt durch den Raum - der Künstler Thomas Roppelt schmückte den Motor eines chinesischen Rasierapparats mit einem Propeller und einer aerodynamischen Flosse, und seitdem zieht die ,,Air Etaneno" an einem langen Faden ihre Kreise durch das Atelier. Nur Besucher sind im so genannten ,,Museum im Busch" der Abgeschiedenheit wegen selten anzutreffen . Deshalb könne Etaneno auch kein Museum im Sinne eines festen Hauses und einer auf Ausstellungen reduzierten Tätigkeit sein, meint Holger Bunk: Erst die Bewegung, die die Gäste mitbringen, sorge für Lebendigkeit und Relevanz.

Der hochgewachsene Kunstprofessor von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart geht in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voran. Zum vierten Mal ist Bunk bereits auf Etaneno, und längst beschränkt er sein Engagement nicht mehr nur auf die kreative Arbeit innerhalb der Farm. Mit anderen Künstlern hat er den Schritt aus der konzentrierten Isolation hinaus in die Realität Namibias gewagt. Bei einem Besuch der nächstgelegen Ortschaft Kalkfeld ist ihm die Dringlichkeit bewusst geworden, mehr zu tun als Leinwände kunstvoll zu bepinseln.

Die Fahrt von Etaneno nach Kalkfeld dauert 15 Minuten. Termitenhügel so groß wie Basketballspieler säumen die Straße, bis zur Linken eine Siedlung auf einem staubigen Feld auftaucht. An der Tanks telle trifft sich die Dorfjugend. Etwas weiter in der zerfallenen Ortschaft liegt die J.K. Wahl-School. In dem so genannten Hostel leben über 100 Kinder, deren Eltern in Städten arbeiten. In den Gebäuden herrscht eine beklemmende Atmosphäre. Auf den schmutzigen Zimmern vertreiben sich die Kinder zwischen ihren klapprigen Metallbetten die Langweile. In den Baderäumen stinkt es nach Urin. Zwischen den Mauern herrscht eine niederschlagende Trostlosigkeit. Bis vor zwei Jahren gab es hier nicht mal fließendes Wasser, erzählt Bunk.

Zusammen mit Etaneno-Kollegen hat er die nackten Betonwände hier bemalt und mit Farbe Blumen auf dem Steinboden sprießen lassen. ,,Wir sind Künstler, keine Sozialarbeiter", sagt er, ,,aber trotzdem versuchen wir Gelder und Unterstützung für das Heim zu finden." Mit einfachen Kunstkursen wollen er und Michaela Wirsig den Kindern etwas Raum für Phantasie und Abwechslung bieten.

Auch die Kalkfeld Primary School lassen die Künstler ein bisschen aufblühen. Thomas Stricker, der in Deutschland schon ganze Landschaften gestaltete, hat im Hof der Lehranstalt einen reichhaltigen Garten angelegt. Kräuter sollen hier wachsen, Blumen gedeihen, Tomaten, Kartoffeln und Früchte geerntet werden. Die Beete werden von den Schülern bestellt, ,,Gärtnern" steht auf dem Stundenplan. Wenn es klappt, werden die selbst angebauten Erzeugnisse den Einheitsbrei der Schulküche verfeinern. Bunk hofft, dass das Gartenprojekt den Anfangsoptimismus überdauern wird und nicht bald wieder zu einem dürren Acker verkommt.

Der Kampf gegen die Vergeblichkeit wird auch auf der Farm gefochten. ,,Die Natur kümmert sich nicht um die Kunst", weiß Alfonso Hüppi. Unter der Sonne bleichen die Farben weg, der Wind trägt manche Kunstwerke schichtenweise ab. Es sei eine wichtige Lektion für manche Leute hier, dass alles der Vergänglichkeit zum Opfer fällt, meint der Kunstprofessor. Die Arbeit auf der Farm sei nun mal einem ,,einzigen Vorgang der Wandlung" unterworfen.